
Abschnitt 3: Thematischer Ansatz: der Forschungsstand in der Schweiz
Thema 3: Die Forschung zum Wandel von Unterrichtspraxis und -inhalten
Wir haben unter dieser Rubrik alle Untersuchungen zu den Veränderungen eingeordnet, welche die Informatik und die neuen Technologien im allgemeinen bei den Unterrichtspraktiken und -inhalten bewirken. Im Unterschied zu den Arbeiten zu Thema 2 konzentrieren sie sich weniger auf den Schüler und seine Lernprozesse als auf den Lehrer, der in seiner Rolle als Organisator der pädagogischen und didaktischen Szenarien beschrieben wird. Die Untersuchungen betreffen das Klassenzimmer, das vermittelte Wissen und die Institution Schule. In ihrer grossen Mehrheit benutzen sie keine Hightech-Entwicklungen, sondern im Handel erhältliche Anlagen oder Programme. Im Gegensatz zu den Arbeiten von Thema 1 haben diese Forschungen resolut auf die Pädagogik oder die Didaktik ausgerichtete Fragestellungen. Die Forschung desselben Typs, die sich mit Telematik oder Fernunterricht befasst, behandeln wir aufgrund ihrer eigentümlichen Fragestellung unter Thema 5.
- Mit der finanziellen Unterstützung des vorliegenden Forschungsprogramms (NFP 33) haben A.N. Perret-Clermont und ihr Team vom Psychologischen Seminar der Universität Neuenburg an der Ecole Technique von Sainte-Croix ein Experiment über den Technologieunterricht initiiert. Das AMT-Projekt (Apprendre un Métier Technique[30]) verfolgt das Ziel, Ausbildungssituationen genauer zu beschreiben, welche die Integration der neuen Technologien in diesen Schlüsselsektor der Bildung begünstigen. Eine besondere Aufmerksamkeit wird den Technologien maschineller Bearbeitung (Maschinen mit numerischer Steuerung) und der Übermittlung von Know-how am Arbeitsplatz gelten. Das Team von A.N. Perret-Clermond arbeitet international mit dem Team von Prof. P. Light in Southampton und dem CNED (Centre National de l'Enseignement à Distance[31]) in Frankreich zusammen.
- Dasselbe Team hat in einer didaktischen Perspektive auch mehrere Beobachtungen zur Anwendung von Mathematikprogrammen in der Primarschule durchgeführt (Schubauer 1989 und Perret 1993). Ihr Ansatz will eine Verbindung zwischen dem Diskurs der Entwickler und dem der Lehrer und Schüler aufbauen. In einem allgemeineren Sinn haben sie diese Methode auf die Untersuchung der Mensch-Maschine-Interaktionen angewandt (Pochon und Grossen, 1993). Sie postulieren, dass die Benutzerfreundlichkeit der Programme das Ergebnis eines Prozesses ist, bei dem Anwender und Entwickler eine gemeinsame Sprache entwickeln.
* Pochon, L.-O. & Grossen, M. (1993): A propos de la convivialité, quelques éléments de réflexion pour l'étude des interactions homme-machine. Interface, 2/1993.
* Pochon, L.-O. & Grossen, M. (1993): Un espace interactif pour l'étude des interactions homme-machine. Europea Conference on Computer Science, Communications and Society: A technical and cultural Challenge.
* Pochon, L.-O. & Grossen, M. (1994): Définition d'un espace interactif pour aborder l'étude de l'utilisation de l'ordinateur. Cahiers de Psychologie, 31, S. 27-47.
* Schubauer, R. (1989): Des logiciels en usage, étude des discours de concepteurs, d'enseignants et d'éléves à propos de logiciels de mathématiques à l'école primaire. Interactions didactiques, n10, Séminaire de Psychologie, Université de Neuchâtel.
- J.L. Gurtner (Pädagogisches Institut der Universität Freiburg) hat eine vom SNF unterstützte Forschungsreihe über die kognitiven Aspekte des mathematischen Modellierens im Zusammenhang mit dem Programmieren (insbesondere mit LOGO) durchgeführt. Während eines Aufenthalts in Stanford hat er auch mehrere Artikel über die pädagogischen Anwendungen des Computers im Schulzimmer veröffentlicht (Lepper & Gurtner, 1989). Laut Gurtner soll der Programmierunterricht hauptsächlich zur Unterstützung der Modellieraktivitäten eingesetzt werden. In diese Richtung gehen auch die Veröffentlichungen für Lehrkräfte von B. Vitale im SRP von Genf und Freiburg (Béguin u.a., 1995). Dieser Standpunkt scheint in der Wissenschaft weniger umstritten zu sein als die "techno-romantischen" Thesen von Papert. Die Universität Freiburg hat 1991 ein internationales Meeting zum Thema "LOGO und Lernen" veranstaltet.
* Béguin, C., Gurtner, J.-L., de Marcellus, O., Denzler, M., Tryphon, A. & Vitale, B. (1995): Activités de représentation et de modélisation dans une approche exploratoire de la mathématique et des sciences. Revue petit x, 38, S. 41-71.
* Gurtner J.-L. (1992): Between Logo and Mathematics: A Road of Tunnels and Bridges. In Celia Hoyles and Richard Noss (Eds), Learning Mathematics and Logo. London: MIT Press.
* Gurtner, J-L., Retschitzki, J. (1991): LOGO et apprentissages. Coll. Techniques et Méthodes pédagogiques, Paris: Delachaux et Niestlé.
* Lepper, M.R. & Gurtner, J.L. (1989): Children and computers. Approaching the twenty-first century. American Psychologist, 44, S. 170-178.
* Vitale, B. (1990-1993): L'intégration de l'informatique à la pratique pédagogique. Centre de recherches psychopédagogiques, 1-2, Genéve.
- 1992 fanden in Sitten die Journées francophones de didactique de l'informatique[32] statt. Der Erfolg dieser Tage bei den Lehrern von Orientierungsstufe und Gymnasium zeigt, auf wieviel Interesse in diesem Milieu die Reflexion über die Informatik als Unterrichtsgegenstand stösst. In der Didaktik der Informatik versucht man, sich über Grundzüge einer fundierten Einführung in die Informatik zu einigen. Diese dringende Aufgabe wird durch die extreme Schnelligkeit erschwert, mit der sich Hard- und Software entwickeln. A. Bron, einer der Schweizer Lehrer, die sich seit 25 Jahren für die Entwicklung dieses Sektors einsetzen, versucht gegenwärtig einen neuen Anlauf. Hoffen wir, dass die UDO[33]-Tage vom September '95 dazu beitragen!
* Actes de la troisiéme rencontre francophone de didactique de l'informatique, Sion, du 6 au 8 juillet 1992.
- Prof. Forneck (Pädagogisches Institut der Universität Zürich) hat mit der im Bundesland Nordrhein-Westfalen hergestellten Hypermedia-Umgebung COMPIG gearbeitet. Die Umgebung wurde in Deutschland hergestellt und sowohl in deutschen als auch in Zürcher Schulklassen erprobt (CBT Forum, 1994).
* Forneck, H. & Kradolfer, P. (1984): Schlussbericht Erprobung Hypermedia-Arbeitsumgebung COMPIG, Pädagogisches Institut, Universität Zürich.
- R. Hutin hat im SRP (Service de la Recherche Pédagogique du Département de l'Instruction Publique de Genéve[34]) mehrere Beobachtungen bei 10-12jährigen Kindern durchgeführt (Hutin, 1989). Sein Team interessiert sich besonders für die Nutzung des Computers als Lernhilfsmittel im Klassenraum. Obwohl er keine Beobachtungen angestellt hat, die quantifizierbare Ergebnisse erbringen können, betont Hutin in seinem Bericht den unbestreitbaren Wert der Informatik für Kinder und Lehrer. Er schlägt auch vor, die Entwicklung hochwertiger Bildungssoftware zu fördern, und stellt fest, dass die Anwendung der Textverarbeitung ohne Zweifel einen wirksamen Weg darstellt, Grundschüler in die Informatik einzuführen.
* Hutin, R. (1989): Un ordinateur dans la classe: recherche sur l'emploi de l'informatique comme moyen d'apprentissage entre dix et douze ans. Genéve: DIP, Service de la Recherche Pédagogique.
Dieser Forschungssektor überschneidet sich zum grossen Teil mit den traditionellen Forschungsthemen der Erziehungswissenschaften (pädagogische Innovation, Sozialpsychologie der Schule, Didaktik). Darum überrascht es nicht, hier Schweizer Teams anzutreffen, die sich traditionell mit dieser Art Forschung beschäftigen. Wenn auch ihr Publikationsniveau mit dem der ähnlichen Forschungsgruppen in Europa vergleichbar ist, so liegt doch ihre Anzahl deutlich unter der ihrer Nachbarn. Es genügt, die zahlreichen wissenschaftlichen Zeitschriften zu diesen Themen durchzublättern (siehe Teil 3) um festzustellen, dass Publikationen von Schweizer Teams fast vollkommen fehlen. Die grösste Schwierigkeit dieses Sektors ist, kontrollierte und zuverlässige Versuchsfelder zu finden. Daher sind die Forscher immer wieder mit der Versuchung konfrontiert, schon während der Aufbauphase der Versuchsvorrichtungen zu intervenieren und so ihr Projekt unfreiwillig in Aktionsforschung zu verwandeln. Um dem abzuhelfen, empfehlen wir eine kräftige Unterstützung für Experimente innovationsfreudiger Lehrerteams, wie dies im Tessin geschieht.
[30] Einen technischen Beruf erlernen. Anm. d. Übers.
[31] Nationales Zentrum für Fernunterricht. Anm. d. Übers.
[32] Frankophone Tage für Didaktik der Informatik. Anm. d. Übers.
[33] Utilisation Didactique de l'Ordinateur (Didaktische Nutzung des Computers). Anm. d. Übers.
[34] Pädagogische Forschungsstelle des Genfer Erziehungsdepartements. Anm. d. Übers.
PNR33 - NFP33 - 9 NOV 1996

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