
Soziologie und Bildungsökonomie
Bildungssoziologie
Die NIT haben in einer mehr anwendungsorientierten Perspektive mehrere Forschungsströmungen hervorgebracht, die unter die angelsächsische Konzeption der "technologies assessments" fallen. Die Publikationen der Zeitschrift "Technologies de l'Information et Société" sind gute Beispiele für diese Fragestellungen, die im übrigen weit über das Gebiet der Bildung hinausgehen. Hierbei unterscheidet man:
- Die Untersuchung der Aneignung der Technologien durch die Anwender, die Bildung "ökologischer Nischen" und die Form der Benutzung (Mallien und Toussaint, 1994, Perriault, 1989). Es ist eine geschichtliche Tatsache, dass technische Gegenstände oft ihrem ursprünglichen Zweck, d.h. dem von den Erfindern definierten Zweck entfremdet werden. So war beispielsweise das Telefon ursprünglich für die akustische Liveübertragung kultureller Ereignisse gedacht: Konzerte, Opern usw. Als Beispiel einer aussergewöhnlichen Zweckentfremdung sei der Fall Minitel erwähnt: Anhand zahlreicher Studien konnte man gleichsam 1:1 das Entstehen und die Entwicklung sozialer Praktiken verfolgen die, durch die kostenlose Einführung dieses Gegenstandes in die Wohnungen der Franzosen, hervorgerufen wurden. So wurden z.B. in Velizy die Beherrschung und die Aneignung des Terminals zum Gegenstand einer starken Konkurrenz zwischen den Familienmitgliedern. Die Väter und die Söhne waren besonders empfänglich für die symbolische Überfrachtung, der das Gerät zum Opfer gefallen war. Die Autoren (Marchand und Ancelin, 1984) haben insbesondere die folgende Hypothese aufgestellt: Die Familienväter hätten versucht, über die magische Kraft, welche die Werbung dem Gerät verliehen hatte, die väterliche Autorität wiederherzustellen.
* Mallien, P. et Toussaint, Y. (1994): L'intégration sociale des technologies d'information et de communication: une sociologie des usages. Technologies de l'information et société, Vol. 6, N 4, 315-335.
* Marchand M., Ancelin C. (1984): Télématique. Promenade dans les usages. Paris, La Documentation Française.
* Perriault J (1989): La logique des usages. Paris, Flammarion.
- Die untersuchten Aneignungszyklen von Innovationen im schulischen Milieu (Huberman, 1992), welche die Ergebnisse identischer Untersuchungen in verschiedenen sozioprofessionellen Milieus bekräftigen (namentlich Rogers, 1988 oder Carroll, 1989). Der erste Verfasser betont die Dynamik der Annahme der Innovation: Die Benutzer unterteilen sich zu verschiedenen Zeitpunkten des Prozesses in verschiedene Gruppen. Demnach unterscheidet man die Erneuerer (2,5%), die frühzeitigen Anpasser (13,5%), eine frühzeitige Mehrheit (34%), eine späte Mehrheit (34%) und schliesslich die Nachzügler (16%). Der zweite Verfasser schlägt den Begriff "task-artifact cycle" vor, der der oben erwähnten "ökologischen Nische" nahesteht, um zu erklären, wie sich das Verhalten des Benutzers ändert, um das Instrument zu akzeptieren, und wie letzteres im Gegenzug das Verhalten des Benutzers ändert. Schliesslich könnten Studien wie jene von Punie u.a. (1994), die den Begriff der Innovation hinterfragen, diesem Gebiet angegliedert werden: Die Innovation muss dem Benutzer sowohl in wirtschaftlicher wie in praktischer Hinsicht einen relativen Vorteil gegenüber den existierenden Konzepten und Situationen bieten.
* Huberman M. (1992): L'appropriation de l'informatique en classe. In Vieke, A. (Ed.), Intégration de l'informatique en classe. Genéve, Service informatique de l'enseignement primaire.
* Punie Y., Veller A., Verhoest P., Burgelman J.C. (1994): La diffusion des innovations télématiques selon le point de vue des utilisateurs: les cas des petits utilisateurs professionnels, Technologies de l'information et société, 6(3), 220-248.
* Rogers E.M. (1988): Diffusion of innovations, New York, Free Press.
- Der Wandel der sozialen Beziehungen und der Arbeitsbeziehungen in den Unternehmen infolge der Zunahme der Telearbeit (insbesondere Kouloumdjian, 1994). Es handelt sich hierbei um ein ziemlich neues Forschungsparadigma, insofern die Telearbeit sich gerade zu entwickeln beginnt. Die Association de Psychologie du Travail en Langue Française hat dieses Thema an ihrem im September 1994 in Neuenburg organisierten Kolloquium ausführlich behandelt. Die ersten Studien zu Experimenten im beruflichen Milieu scheinen der gängigen Sicht zu widersprechen, die die kanonischen Vorteile der Telearbeit hervorhebt: flexible Arbeitszeiten, Möglichkeit für die Frauen zu Hause zu arbeiten usw. In Wirklichkeit scheint die Telearbeit die Kontrolle über die Arbeitsbedingungen zu verstärken und dabei die Arbeiter gleichzeitig von ihrem sozialen Leben und damit von den Verhandlungs- und/oder Entscheidungsinstanzen abzuschneiden, zu denen sie normalerweise an ihrem Arbeitsplatz Zugang hätten.
- Die Nutzung der durch den Computer vermittelten Kommunikation in den Unternehmen ruft heute viele ähnliche Bedenken hervor. Lange Zeit hat man geglaubt, sie würde in den Organisationen als demokratischer Faktor wirken, indem sie die horizontale Kommunikation begünstigt und jedem den gleichen Zugang zur Kommunikation gewährleistet. Jüngere Studien wie die von Montavani (1994) scheinen darauf hinzuweisen, dass dem nicht immer so ist. Die bestehenden sozialen Beziehungen in der Gruppe setzen sich durch und werden manchmal sogar noch verstärkt.
* Kouloumdjian, M.F. (1994): Mediasystéme et interaction sociale: problémes de société, question d'épistomologie. Communication au Congrés de l'APTLF "Technologies de la communication épistémologie interaction sociale médiatisée" (sept. 1994) ( à paraître).
* Montavani G. (1994): "Is Computer-Mediated Communication Intrinsically Apt to Enhance Democracy in Organisations?" In Human relations, 47(1), 1994.
- An dieses Thema knüpfen Forschungen an, die versuchen, Technologie und Politik, technologische Entwicklung und soziale Entwicklung miteinander zu verbinden (Williams & Pavlick, 1994). Der von Roquelpo (1994) vorgeschlagene Begriff "Techno-Natur" trägt der zunehmend komplexeren "Verkünstlichung" unserer Umgebung und damit des gesamten sozialen Lebens Rechnung. Nun ist aber ein grosser Teil der Aktivitäten unserer Gesellschaft dem Funktionieren und dem Unterhalt dieser Techno-Natur gewidmet, die damit zu einem grundlegenden politischen Problem wird.
* Roquelpo P. (1983): Le savoir décalé. In L. Sfez & G. Coutlée, Technologies et symboliques de la communication. Grenoble: PUG.
* Williams F. and Pavlick J.V. (1994): The People's Right to Know: Media, Democracy, and the Information Highway. Hillsdale, New Jersey: Lawrence Erblaum Associates.
- Schliesslich hat Moles (1981) eine Bewertung der NIT entwickelt, die auf einer Konzeption ihrer unterschiedlichen Kosten fusst. Die Originalität des Ansatzes liegt in der Konzeption und Definition des Kostenbegriffs: So erwägt der Autor beispielsweise die symbolischen Kosten, die Lernkosten, die Verzichtskosten, die wirtschaftlichen Kosten, die Übermittlungskosten, die Zuverlässigkeit und Sicherheit der Übermittlung usw. Es ist zu bedauern, dass der Autor oder andere Forscher nie versucht haben, dieses Modell durch konkrete Analysen zu erproben.
* Moles A. (1981): L'image communication fonctionnelle. Tournai: Casterman.
PNR33 - NFP33 - 9 NOV 1996

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TECFA Research * AGORA PNR33 - NFP33