Abschnitt 4: Institutioneller ansatz: ein netzwerk

Organisation der schweizer forschungsteams

Im Tätigkeitsbericht 93-94 der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung widmet A. Gretler der detaillierten Analyse der verschiedenen Institutionen, die zur Bildungsforschung in der Schweiz beitragen, einen grossen Abschnitt. Jenseits der Kluft zwischen Grundlagenforschung, angewandter Forschung und Entwicklungsforschung betont Gretler (1995) eine spezifisch schweizerische Problematik: die vertikale Aufteilung zwischen Kantonen, Regionen und Bund. Auf diesen drei Ebenen fällt der angewandten Forschung und der Entwicklung eine besondere Rolle zu, namentlich bei der Umsetzung der kantonalen Politik. Wir haben das Recht, uns zu fragen, ob es bei der Forschung über die NIT eine ähnliche Wirkung gibt.

Die akademischen Forschungsteams für Humanwissenschaften

In der Regel obliegt die Grundlagenforschung den akademischen Teams. Der Bericht der SKBF unterstreicht, dass diese Art Forschung, insofern sie die Bildung betrifft, auf der nationalen und der internationalen Szene eine noch relativ bescheidene Position innehat und gestärkt werden müsste. Es ist auch festzuhalten, dass der Beitrag der Psychologie und der Soziologie zur Bildungsforschung an bestimmten Universitäten (insbesondere Genf) sehr bedeutend ist - eine Feststellung, die nicht hilft, das Bild von der Bildungsforschung übersichtlicher zu gestalten. Noch bescheidener fällt die Bilanz für die Forschung über die NIT aus, denn das Team von Reusser in Zürich ist vielleicht das einzige Team, das exklusiv auf dem Feld der Bildungswissenschaften arbeitet und sich hauptsächlich für die neuen Technologien interessiert. Die anderen Teams unterliegen verschiedenen Einflüssen und Ursprüngen: Interdisziplinarität bei der TECFA (Psychologie, Informatik und Bildungswissenschaften), Informatik in Lausanne ... Für viele Gruppen ist die Bildungsforschung im besten Fall eine Randtätigkeit, im schlimmsten eine Untergrundaktivität.

Die akademischen Forschungsteams auf dem Gebiet der Informatik

Auf dem Feld der Entwicklungsforschung ist das Gesamtbild noch komplexer. Jede Universität hat eines oder mehrere auf die Entwicklung von multimedialer Bildungssoftware spezialisierte Teams geschaffen. Diese Initiativen koexistieren zuweilen unter dem Dach einer Fakultät oder einer Abteilung. Ursprünglich will man (wie an der ETHZ) Material für den eigenen Gebrauch entwickeln, aber es kann auch die Absicht der Forscher sein, #originale Informatikverfahren zu validieren (wie z.B. die Bildverarbeitung am Informatikinstitut von Zürich). Die Unterrichtssituation ist aufgrund ihres natürlichen Verhältnisses zu den kognitiven Wissenschaften und ihres vielfältigen Interaktionsmodells ein von den Informatikern sehr begehrtes Anwendungsfeld. Mit der Zeit und zunehmender Erfahrung haben sich diese Teams spezialisiert und pflegen manchmal wissenschaftliche Beziehungen zu Gruppen, die zur selben wissenschaftlichen Gemeinde gehören wie die Bildungsforscher (siehe z.B. die Fallstudie über das JITOL-Projekt).

Die kantonalen Stellen für pädagogische Forschung

Der Verfassung zufolge liegt die Zuständigkeit für Bildung in erster Linie bei den Kantonen. Darum findet man in den Departementen für öffentliche Bildung eines jeden Kantons Institutionen für schulische Entwicklung und Bildungsforschung. Derzeit gibt es mindestens eine solche Institution in 20 Kantonen von 26. Genf und Zürich weichen von dieser Regel ab und verfügen über mehr als ein Zentrum. Alle diese Institutionen sind natürlich dazu berufen, sich für die neuen Technologien zu interessieren. In der Regel praktizieren sie eine angewandte Forschung des Typs Aktionsforschung und/oder Entwicklungsforschung und betrachten dieses Gebiet als ein Anwendungsfeld wie alle anderen. Nur der Kanton Genf hat ein auf die pädagogische Informatik spezialisiertes Zentrum eingerichtet (CIP, Leitung A. Morel), in dem alle Unterrichtsniveaus versammelt sind. Das Zentrum ist Urheber zahlreicher Initiativen wie die Aktion "Success Stories", den Wettbewerb für Telematikszenarien sowie die Organisation einer internationalen Konferenz über das Thema "Open and Distant Learning". Zudem hat es an mehreren europäischen Projekten teilgenommen (JITOL, TRIBUNE).

In diesen Einrichtungen werden die Forschungsthemen durch die kantonale Politik vorgegeben, und die Ergebnisse der Arbeiten sind im wesentlichen für die lokalen Verantwortungsträger bestimmt. Diese Eigenheit gewährleistet eine Homogenität, eine Entscheidungsflexibilität sowie Mittel, auf welche die akademischen Teams und die ausländischen Kollegen mit Neid blicken (siehe z.B. die durch die zentralisierte Politik bewirkte Lage unserer französischen Nachbarn). Bei der Forschung über die NIT stossen diese Zentren auf die selben Probleme wie in den anderen Forschungssektoren der Bildungswissenschaften: fehlende kritische Masse, mangelnde Freiheit bei der Wahl der Themen, geringe Zusammenarbeit mit den akademischen Teams, die die Grundlagenforschung produzieren.

Die regionalen und eidgenössischen Koordinationsstrukturen

Zur Erleichterung und Entwicklung der schulischen Koordination sind die Kantone in vier regionalen Konferenzen zusammengeschlossen (Westschweiz und Tessin, Nordwestschweiz, Zentralschweiz und Ostschweiz). Diese Regionalkonferenzen dienen der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren als beratende Organe. Auf dem Gebiet der Forschung hat diese Gliederung die Regionen unterschiedlich beeinflusst. So haben - im Gegensatz zu den anderen Regionen - die Westschweiz und das Tessin einerseits, die Zentralregion andererseits ihre eigenen Forschungsinstitute (IRDP und ZBS). Auf dem Gebiet der NIT haben diese regionalen Zusammenschlüsse zu wichtigen Initiativen geführt wie die Studie über die Kantone der Westschweiz und das Tessin, die im Juni 1995 durch das IRDP veröffentlicht wurde (siehe Fallstudie). Es ist auch anzumerken, dass bei einem Zusammenschluss auf dieser Ebene die Zusammenarbeit mit den Universitätszentren leichter ist. Dieses Phänomen ist vermutlich auf die schwächere Spezifizität der Fragestellungen, aber auch auf die höhere kritische Masse der Forscher zurückzuführen.

Auf Bundesebene ist die Lage düster, denn es gibt so gut wie keine Bildungsforschung ausser der durch die Nationalen Forschungsprogramme (NFP "Bildung und aktives Leben" und "Effizienz unserer Bildungssysteme") gesteuerten. Zudem haben nur sehr wenige durch die NFP unterstützten Projekte wirklich eine nationale Bedeutung (Gretler, 1995). Die Rolle der Bundesämter (BBW, BFS, BIGA, Schweizerischer Wissenschaftsrat, SHK) ist durch die Zersplitterung der Beschlussinstanzen begrenzt. So unterstützt z.B. das BBW aktiv den Ausbau der Versuche über den Fernunterricht, interveniert aber nicht auf dem Gebiet der Grundlagenforschung. Das sich ergebende Bild ist um so paradoxer, als man davon ausgehen kann, dass das Bildungs- und Qualifikationsniveau der Bevölkerung den einzigen Rohstoff des Landes darstellt.

Die privaten Forschungsteams

Eine der Eigenheiten des uns in diesem Bericht interessierenden Forschungsgebiets rührt daher, dass es zahlreiche private Zentren gibt, deren Forschungsthematiken sich ganz oder teilweise mit den durch die öffentliche Forschung unterstützten überschneiden. Die Präsenz dieser Teams ist sowohl eine Chance wie auch eine Herausforderung für unsere wissenschaftliche Gemeinde. Eine Chance, insofern ihre Existenz die kritische Masse der Forscher in diesem Sektor erhöht, den Studenten berufliche Aussichten bietet und bei der Entwicklung von Anwendungen einen gewissen Professionalismus gewährleistet. Die Herausforderung ist insofern gegeben, als die privaten Teams als Zeichen für das Interesse der Unternehmen am Softwaremarkt zu gelten haben und letztere ihren Standard und ihre "schlüsselfertigen" Lösungen durchzusetzen drohen.

Wir können hier nicht alle privaten Forschungsteams aufführen, deren Hauptinteresse den in der Bildung eingesetzten NIT gilt. Es erschien uns jedoch nützlich, unter den repräsentativsten Projekten einige Beispiele kurz vorzustellen.

ICARE Institut de Recherche en Informatique et Télématique

Das Institut de Recherche en Informatique et Télématique deckt ein breites Tätigkeitsspektrum ab, das die angewandte Informatik, die Unterrichtsinformatik, die Unternehmensberatung, Multimedia und die Telematik umfasst. Die zahlreichen Forschungsprojekte, an denen Icare arbeitet, haben einen hohen Entwicklungsanteil. Im Rahmen von KWF-Projekten (Kommission zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung) arbeitet Icare mit den technischen Hochschulen, dem Polytechnikum in Lausanne sowie mit privaten Organisationen zusammen. Die Projektthemen sind die Konzeption eines integrierten Softwareraums für die Klein- und Mittelbetriebe, die Schaffung eines Spitzenzentrums für Softwareengineering bei den objektorientierten Sprachen und das Computer Integrated Manufacturing.

Auf dem Feld der Telematik hat Icare einen Mitteilungsserver (ein elektronisches Informationsbulletin) entwickelt, den insbesondere die Walliser Lehrer unter der Ägide des ORDP benutzen. ICARE wird ab 1995 an der Realisierung der Informatikarchitektur eines Zentrums für Fernunterricht teilnehmen, das sich in der Region von Siders# niederlässt.

Herstellung von CBT-Programmen: ADVESCO

ADVESCO ist ein Unternehmen für die Entwicklung von Hilfsmitteln für den individuellen Unterricht. Unter seinen Produkten findet man ein Programm zur Übernahme des Computers (Maus, Klavier usw.) oder auch ein Unterrichtsprogramm zum Erlernen der Grundbegriffe aus Finanzwesen und Wirtschaft für kaufmännische Lehrlinge. Auf den Beschreibungsblättern des Unternehmens werden als Kunden hauptsächlich Banken und Versicherungsgesellschaften angegeben, Unternehmen also, in denen die Ausbildung individualisiert ist.

Beratungszentrum: Modern Learning Technologies AG

Modern Learning Technologies AG ist ein Joint-venture der TELECOM-Schweiz und mehrerer grosser schweizerischer Unternehmen, das auf dem Feld der in der Bildung eingesetzten NIT eine Beraterolle spielt. MLT bietet auch den Zugang zur Datenbank European Public Network Operators Open Learning Software (EPOS). Die Datenbank ist das Ergebnis der Zusammenarbeit mehrerer europäischer Telekommunikationsunternehmen und enthält Unterrichtsprogramme sowie Softwarekomponenten, die bei der Entwicklung neuer pädagogischer Anwendungen benutzt werden können.

Multimediazentren und Bibliotheken

Auch wenn Mediatheken und spezialisierte Dienste nicht als Forschungszentren angesehen werden können, so möchten wir doch ihre Rolle als Verbreiter und Organisatoren betonen. Die spezialisierten Dienste haben den immensen Vorteil, in direktem Kontakt zu den Softwareanwendern zu stehen und deren Meinung über die vertriebenen Programme informell zu erfahren. Es stellt sich heraus, dass sich der medizinische Sektor besonders intensiv mit der Anwendung der Neuen Informationstechnologien befasst. Die Universitätskrankenhäuser verfügen über umfangreiche Mediatheken, die im Bereich der audiovisuellen Medien und der CGU-Software bedeutende Ressourcen bieten.

In Bern z.B. verfügt die Medizinfakultät über ihr eigenes Institut für Aus-, Weiter- und Fortbildung (IAWF), dessen Abteilung für Unterrichtsmedien (aum) sich eigens mit der Produktion und der Verteilung von Unterrichtsmitteln befasst. Die Abteilung verfügt über die notwendige Ausrüstung, um Videofilme, Tonaufnahmen, Unterrichtsprogramme und Syntheseanimationen herzustellen. Die Studenten können diese Produktionen im Zentrum konsultieren. Die AUM gehört auch zu der elektronischen Diskussionsliste MEDIMED (Medien und Didaktik in der Medizin) deren Aufrechterhaltung durch die ASK (Akademische Software Kooperation) in Karlsruhe gewährleistet wird. MEDIMED soll den Austausch und die Verteilung von Information sowie thematische Diskussionen ermöglichen.

Am Waadtländer Universitätskrankenhaus (CHUV) von Lausanne unterhält das Centre d'Enseignement Médical et de Communication Audiovisuelle (CEMCAV) ebenfalls eine Reflexion über die Unterrichtsmittel.

Die Universitätsbibliotheken sind der Begeisterung für Multimedia und das Speichermedium CD-ROM gefolgt. So stellen z.B. die Bibliotheken BCU in Lausanne und die UB in Basel Datenbanken auf CD-ROM zur Verfügung, welche die Quellenangaben und Zusammenfassungen von Artikeln aus verschiedenen Gebieten sowie Multimediaanwendungen zu verschiedenen Themen enthalten. Seit kurzem ist über Arbeitsstationen auch der Zugriff aufs Internet möglich.

Die akademischen Forschungsteams für Humanwissenschaften
Die akademischen Forschungsteams auf dem Gebiet der Informatik
Die kantonalen Stellen für pädagogische Forschung
Die regionalen und eidgenössischen Koordinationsstrukturen
Die privaten Forschungsteams
ICARE Institut de Recherche en Informatique et Télématique
Herstellung von CBT-Programmen: ADVESCO
Beratungszentrum: Modern Learning Technologies AG
Multimediazentren und Bibliotheken

Nationales Forschung Programm 33 - 29 JAN 1996

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