Abschnitt 2: Ansatz nach disziplinen: perspektivierung der methoden

Die methode der informatik: die formalisierung

Die Programmiersprachen

Man kann sagen, dass es schematisch gesehen bis in die Mitte der achtziger Jahre zwei gegensätzliche Programmiersprachen gab: zum einen die prozeduralen oder funktionalen Sprachen (wie Pascal, LISP oder Basic) und andererseits die deklarativen Sprachen (wie Prolog). Die prozedurale Programmierung kann beschrieben werden als eine explizite Formulierung des Know-hows gefolgt von dessen Übertragung in eine durch einen Automaten ausführbare Sprache (z.B. die schrittweise Erklärung, wie man eine Wörterliste sortiert). Im Gegensatz hierzu beschreibt die deklarative Programmierung in einem ersten Schritt die Relationen zwischen den verschiedenen Elementen des zu lösenden Problems, ohne hierbei spezifische Aktionen zu programmieren (z.B. Herstellung der Relationen zwischen Subjekten in einem Stammbaum). Seit rund zehn Jahren hat sich in der Welt der Informatik eine neue Programmierweise durchgesetzt: die objektorientierte Programmierung (die erste dieser Sprachen trug den suggestiven Namen SmallTalk). Alle Benutzer grafischer Schnittstellen (Macintosh oder Windows) kennen diese Programmierweise, deren verbreitester Prototyp für das grosse Publikum die Hypercard-Sprache (oder deren Windows-Version Toolbook) ist. Diese Sprachen ermöglichen die Lösung gewisser Konzeptionsschwierigkeiten, auf welche die Programmierer bei der einen oder anderen der beiden erwähnten Familien von Programmiersprachen stiessen (Meyer, 1988). Diese Schwierigkeiten betrafen im wesentlichen die Entwicklung und Aktualisierung komplexer Programme.

Bei den "objektorientierten" Sprachen definiert die Programmierung Klassen interaktiver Objekte, die zugleich parametrierbare Eigenschaften aufweisen (z.B. kann ein auf dem Bildschirm erscheinendes Fenster geöffnet oder geschlossen werden) wie auch ein Repertoire an Methoden, mittels dessen man auf andere Objekte der Umgebung agieren kann (z.B. führt ein in ein anderes Fenster verschobenes Objekt einen mit diesem neuen Kontext verknüpften Befehl aus). Diese informatische Metapher ermöglicht es, den Softwareanwendern ein dargestelltes Universum anzubieten, das der wirklichen Welt mehr oder weniger analog ist. Tatsächlich ist es die direkte Manipulation der Objekte auf dem Bildschirm, die in einem gegebenen Zusammenhang die auszuführenden Befehle definiert (Kiczales, Lamping & Bobrow, 1991). Diese Entwicklung hat es dem Anwender leichter gemacht, informatische Anwendungen zu programmieren und zu benutzen. Diese Forschungen bringen zahlreiche Implikationen für die Bildung mit sich, insbesondere im Bereich der graphischen Programmierung (Wolfe, 1992).

Kiczales, G., Lamping, J. and Bobrow, D.G. (1991) - The art of Metaobject protocol. Cambridge, Ma: MIT Press.

Meyer, B. (1988) - Object-Oriented software construction. New York: Prentice-Hall.

Wolfe, C.R. (1992) - Using Authorware Professional for developping courseware. Behavior, Research, Methods & Instruments, 24(2), S. 273-276.

Die Techniken der künstlichen Intelligenz

Die Techniken der künstlichen Intelligenz haben sich ab dem Beginn der siebziger Jahre als alternative Lösung zur Konzeption der CGU-Softwareprogramme durchgesetzt (Dillenbourg et Martin-Michiellot, 1995). Unterschiedliche Gründe haben die Wissenschaftler dazu gebracht, die Techniken der künstlichen Intelligenz (KI) auf die Bildungssoftware anzuwenden: Zum einen suchten die Entwickler von Unterrichtsprogrammen leistungsfähigere Techniken für die Konstruktion von Systemen, zum anderen fanden Forscher aus Informatik und kognitiver Psychologie die Gelegenheit, neue Techniken oder neue theoretische Modelle zu entwickeln und zu testen. Wir können hier keine Übersicht über die grosse Zahl Ideen, Techniken oder Systeme geben, die in den vergangenen 15 Jahren Forschung über künstliche Intelligenz und Bildung (KI&Bdg) entwickelt worden sind. Der an diesem Thema interessierte Leser kann die Synthese von Wenger (1987) lesen, die nicht neuesten Datums ist, aber einen ausgezeichneten Einblick in die auf dem Feld von KI&Bdg entwickelten Ideen und Prinzipien gibt. Wir werden uns hier auf das stabilste Korpus an Arbeiten konzentrieren, das den Kern der KI&Bdg bildet. Es gibt andere Anwendungen der KI-Techniken wie die Verarbeitung der natürlichen Sprachen, die Planung, das automatische Lernen usw., aber sie würden den Rahmen dieser Präsentation sprengen. Der Beitrag dieser Techniken kann in drei Punkten zusammengefasst werden:

1. Der hauptsächliche Beitrag der KI zur Bildungs- und Schulungssoftware ist die Möglichkeit, die Kompetenz zu modellieren. Diese Kompetenz ist die wesentliche Eigenschaft der auf der KI basierenden Unterrichtsprogramme: Das System ist fähig, die Probleme zu lösen, die der Lernende lösen muss. Das System ist auf dem Unterrichtsgebiet kompetent. Natürlich können andere Programmiertechniken eine korrekte Lösung erzeugen. Der Beitrag der KI-Techniken liegt weniger in ihrer Fähigkeit, eine korrekte Lösung zu erzeugen, als in der Art, wie diese Lösung konstruiert wird. So wurden beispielsweise komplexe KI-Systeme entworfen, um die Lösung einer einfachen Substraktion wie '294 - 98' zu modellieren, obwohl jegliche Informatiksprache die richtige Lösung liefern kann (Brown & Burton, 1978).

2. Diese modellierte Kompetenz erlaubt es dem System, Interaktionen durchzuführen, die nicht möglich wären, würde es mit vorgespeicherten Lösungen arbeiten. Tatsächlich ermöglichen die KI-Techniken im Verlauf der Problemlösung Interaktionen zwischen dem Lernenden und dem Experten. Obwohl die KI ursprünglich entworfen wurde, um die menschliche Intelligenz nachzubilden, liegt aus der Perspektive der Unterrichtsprogramme die Qualität der KI-Techniken nicht im Grad ihrer psychologischen Genauigkeit, sondern in dem Mass, in dem sie die Realisierung interessanter Interaktionen ermöglichen.

3. Die durch die KI-Techniken berücksichtigten Formen der Interaktion sind wichtig, wenn es darum geht, die zur Lösung komplexer Probleme nötigen Kompetenzen zu erwerben. Andere Lernziele können mit einfacheren Interaktionstechniken erreicht werden wie Multiple-choice-Fragen. Da die Entwicklung einer auf KI beruhenden Software kostspieliger ist als ein klassisches Unterrichtsprogramm, sollten diese Techniken nur benutzt werden, wenn sie wirklich notwendig sind.

Brown J.S. and Burton, R.R. (1978) - Diagnostic models for procedural bugs in basis mathematical skills. Cognitive Science, vol. 2, S. 155-191.

Dillenbourg, P. and Martin-Michiellot, S. (1995) - Le rôle des techniques d'Intelligence Artificielle dans les logiciels de formation. CBT, Learntec.

Wenger, E. (1987) - Artificial Intelligence and Tutoring Systems: Computational and cognitve approaches to the communication of knowledge. Los Altos: Morgan Kauffmann Publishers.

Die Telematik und die Netzwerke

Das Gebiet der Telematik und der Netzwerke ist vielleicht dasjenige, wo die Informatik vom Standpunkt der Anwendungen für das breite Publikum aus gesehen die spektakulärsten Fortschritte gemacht hat. Sicher wird dieses Gebiet auch den entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der NIT in der Bildung ausüben. DAS INTERNET und seine Dienstleistungen stehen im Scheinwerferlicht der Aktualität (TELECOM 95 hat dem CyberSpace einen ganzen WE# gewidmet), und kein Tag geht vorüber, ohne dass die grossen Medien die Verdienste dieser oder jener privaten oder öffentlichen Initiative preisen (Informationsserver, Werbeaktionen, Telearbeit usw.). Sicher ist diese Begeisterung auf die Möglichkeiten des World Wide Web (WWW) zurückzuführen. Die Philosophie dieser Umgebung besteht darin, die Metapher des Hypertexts anzubieten, um auf die klassischen Funktionen des Internet zuzugreifen (elektronische Post, Newsgruppen, Dateienaustausch usw.). Über einen einfachen Klick lädt und zeigt man auf dem eigenen Computer eine Datei an, die ihr Urheber auf einem Server am anderen Ende des Planeten zur Verfügung gestellt hat.

So bildet sich durch die alleinige öffnung von Ressourcen und ohne jegliche autoritäre Intervention oder Kontrolle jeden Tag auf der Ebene des Planeten eine "Online"-Dokumentardatenbank über diese miteinander verbundenen Server. Die Nutzung eines solchen Netzwerks in der Bildung wurde sehr schnell zum Gegenstand zahlreicher Initiativen (Ellsworth, 1994; Hiltz, 1993, Ibrahim, 1995). Seine wichtigsten Qualitäten liegen in der Leichtigkeit des Zugriffs, seiner Unabhängigkeit gegen materielle und Software-Standardplattformen und vor allem in seinem offenen und keiner Leitung unterliegenden Wesen. Die Möglichkeiten des Internet erneuern so die Praktiken des Fernunterrichts, und viele europäische Universitäten haben sehr schnell die Bedeutung dieser Kommunikationsform für ihre künftige Entwicklung verstanden.

Der Einstieg der Unternehmen in dieses bisher den Forschern vorbehaltene Universum bezeichnet eine Wende in der Geschichte des INTERNET. Wird es sich auch weiterhin selbst verwalten können? Wer wird Zugriff worauf und zu welchem Preis haben? An diesen wenigen Fragen sieht man, dass die Probleme, die sich den Entwicklern stellen, weniger Probleme der Technik und der Grundlagenforschung sind als wirtschaftliche, politische und soziologische Probleme. Die Begriffe "virtuelle Demokratie" und "virtuelle Republik", welche die auf dem Netzwerk entstandenen wissenschaftlichen Gemeinden bezeichnen, veranschaulichen diese Evolution.

Ellsworth, J.H. (1994) - Education on the Internet. Indianapolis: Sams Publishing.

Ibrahim, B. (1995) - Advanced Educational Uses of the World-Wide Web. Special issue of Computer Networks and ISDN Systems, Vol. 27, No. 6, S. 871-877.

Die virtuellen Realitäten und die MOO-Server

Die MOO sind durch einen Mehrfachnutzer-Server unterstützte Kommunikationsumgebungen, die in einer objektorientierten Sprache (Mud Object Oriented) programmiert werden können. Ursprünglich haben sich diese Systeme an den kollaborativen MUD-Abenteuerspielen (Multiple User Dungeons) inspiriert, aber sie haben sehr bald "seriösere" Anwendungen in der Forschung, Bildung und, in einem allgemeineren Sinn, in der Fernzusammenarbeit gefunden. Diese programmierbaren Umgebungen beruhen auf einer Raummetapher, die es ermöglicht, virtuelle Räume real darzustellen und so einen Kommunikationsraum neu zu erschaffen, der dem natürlichen Raum, in dem sich der Anwender normalerweise bewegt, ähnlich ist. Dank der virtuellen Realitäten können die Anwender über durch die Tastatur eingegebene Texte (fast) synchron oder z.B. mit der klassischen elektronischen Post asynchron miteinander kommunizieren. Diese Räume sind über jeden Computer zugänglich, der direkt oder indirekt an das Internet angeschlossen ist. Es ist ihr Vorteil, dass sie nur eine bescheidene Ausrüstung erfordern, da sie keine Bilder brauchen, um zu funktionieren.

Die MOO unterscheiden sich von einer traditionellen Anwendung dadurch, dass sie auf dem sie beherbergenden Server endlos "laufen". Jegliche Veränderung oder Hinzufügung im virtuellen Raum, der durch eine Datenbank informatischer Objekte dargestellt wird, steht jedem Anwender sofort zur Verfügung, insofern er über die erforderlichen Rechte verfügt. Das progressive Bilden einer Gemeinde macht die MOO übrigens zu einem Forschungsgegenstand für die Humanwissenschaften.

Als Anwendungsbereich für die virtuellen Realitäten interessieren uns hier die "virtuellen Klassen" (Hiltz, 1993 & Berge, 1995[4]). Eine "virtuelle Klasse" ist eine Lernumgebung, durch welche die Schüler und Lehrer Informationen austauschen und gemeinsam an einem Problem oder Projekt arbeiten können, ohne den Zwängen von Raum oder Zeit unterworfen zu sein. Das der Idee der "virtuellen Klasse" zugrundeliegende Vorhaben besteht nicht nur darin, die traditionellen Handlungen zum Zweck der Bildung auf einen durch ein Programm vermittelten Kommunikationsträger zu übertragen, sondern neue Formen der Beziehung zwischen Unterrichtenden und Unterrichtenden zu fördern. Dieses Vorhaben teilt mit dem traditionellen CGU das Ziel, den Schüler mehr in den Bildungsprozess einzubinden, indem es ihm eine aktivere Rolle gibt. Es fügt dieser konstruktivistischen Dimension jedoch eine Dimension der Zusammenarbeit hinzu, die den klassischen Lernumgebungen fehlte. Als Beispiel für den Einsatz der NIT im Ferunterricht kann der Leser die Beschreibung eines im Rahmen der Globewide Network Academy (GNA) gegebenen Einführungskurses in C++ konsultieren.

Berge, Z. (1995) - Computer-Mediated Communication and the Online Classroom. Computer-Mediated Communication Magazine, 2(2), Hampton Press, NJ:Cresskill.

Hiltz, S.R. (1993) - The Virtual Classroom: learning without limits through computer networks. Norwood, NJ: Alex Publishing Corporation.

http://uu-gna.mit.edu:8001/uu-gna/text/cc

Multimedia

Der Begriff "Multimedia" bezeichnet heute je nach dem eingenommenen Standpunkt sehr unterschiedliche Realitäten. Für das breite Publikum bezeichnet Multimedia eine Gruppe von "futuristischen" Produkten mit zuweilen spektakulären Eigenschaften, deren bedeutsamste Durchbrüche in den Dienstleistungen (Verkauf, Werbung, Kioske usw.), den Künsten (Malerei, Musik ...) und dem sogenannten "enzyklopädischen" Wissen (Museumskunde, interaktive #Pfähle) stattgefunden haben. CD-ROM oder CDI (interaktive CD) sind zu kommerziellen Standards geworden, die der Verbraucher mit der Verbreitung der Multimediaprodukte assoziiert. Auf halbem Weg zwischen Video und dem Buch, zwischen der Audio-CD und der Standardsoftware angesiedelt, sind die Multimediaanwendungen dabei, sich um den noch ungenügend definierten Kernbegriff "Interaktivität" zu einer achten Kunstform zu entwickeln.

Für einen Informatiker ist Multimedia vor allem eine Gruppe von Berechnungsverfahren, mittels deren man Töne und Bilder wie jedes andere EDV-Objekt numerisch manipulieren kann (Anzeige, Übertragung, Transformationen usw.). Auf diesem Gebiet, das natürlich alle anderen beeinflusst, befasst sich die Forschung vor allem mit den Problemen der Dateienkompression (Daten, Bilder, Video usw.) und der Entwicklung von immer leistungsfähigeren Techniken und Anwenderprogrammen für Animationen oder 3D-Darstellungen (Magnenat-Thalmann et Thalmann, 1993). Hiermit verbunden sind die Fragen der Kabelübertragung von immer grösseren Informationsmengen durch neue Protokolle (FDDI, ATM), die progressiv den TCP/IP-Standard ersetzen werden. Diese neuen Kanäle bilden die Infrastruktur dessen, was man heute die "Datenautobahnen" nennt.

Es ist nicht unnütz, jene, die sich ausschliesslich für die pädagogischen Anwendungen der Multimediaprodukte interessieren, daran zu erinnern, dass dieser Begriff nicht einen bestimmten Typ von Software bezeichnet, sondern die Möglichkeit, Bild, Ton und Text in ein und derselben Anwendung zu verknüpfen. Für einen Psychologen bedeutet Multimedia vor allem die Möglichkeit, bei den "Individuum-Maschine"-Interaktionen eines interaktiven Dispositivs auf dem gesamten multimodalen sensorischen Repertoire des Subjekts zu spielen: vokale Fernbefehle, intelligente Bildschirme usw.

Schliesslich ist Multimedia weniger ein neues Medium als die Konvergenz bisher disparater Interessen oder Technologien. Multimedia ist die Verschmelzung von Inhalten, welche die audiovisuellen Medien, der Fernunterricht, der traditionelle Unterricht und der CGU bisher getrennt manipuliert hatten, auf einer Grundlage (Pea, 1992). In dieser Hinsicht konfrontiert und mischt Multimedia alle Errungenschaften dieser verschiedenen Gebiete, aber auch alle damit verbundenen und in den verschiedenen Forschungsrichtungen und Praktiken reflektierten Widersprüche. So wird sich z.B. rasch das Problem der Edition und Konzeption der bildenden Multimediaprodukte stellen. Werden neue Berufe auf der Bildfläche erscheinen? Manche nähren die Illusion, dass die Lehrer imstande sein werden, ihre eigenen Anwendungen zu schaffen.

Pea, R.D. (1992) - Distributed Multimedia Learning Environments: Why and How ? Interactive Learning Environments, 2(2), 73-109.

Magnenat-Thalmann, N. and Thalmann D. (Eds) (1993) - Models and Techniques in computer animation. New-York: Springer-Verlag.


[4] http://sunsite.unc.edu/cmc/mag/1995/feb/berge.html
Die Programmiersprachen
Die Techniken der künstlichen Intelligenz
Die Telematik und die Netzwerke
Die virtuellen Realitäten und die MOO-Server
Multimedia

Nationales Forschung Programm 33 - 29 JAN 1996

Generated with Harlequin WebMaker