Abschnitt 2: Ansatz nach disziplinen: perspektivierung der methoden

Die methode der kognitiven Psychologie: das experimentieren

Der strukturalistische Ansatz

Der "strukturalistische" Ansatz privilegiert die synchrone Untersuchung der Weise, in welcher das Wissen im Gedächtnis organisiert ist. Ob man sich für die Begriffe oder ihre Organisation in semantischen Netzwerken interessiert, für komplexere Kenntnisse wie die "Schemen" oder "Skripte" oder für die Entwicklungsaspekte mit den "Kontrollschemen" und "-strukturen", das Ziel ist immer, ein Modell anzubieten, anhand dessen man versteht, wie das Wissen in funktionalen Elementareinheiten organisiert ist. Derartige Modelle haben eine effiziente Interpretation der Verständnismechanismen beim Lesen, den Prozessen der freien Assoziierung und der Bildung von Kenntnissen im Verlauf der Genese ermöglicht.

Dieses Forschungsgebiet ist eine wichtige Inspirationsquelle für die Informatiker und die Entwickler von Programmiersprachen, die die Darstellungsweise der Kenntnisse über die Maschine leistungsfähiger gestalten wollen, indem sie diese Darstellungsweise an die des menschlichen Subjekts annähern. Umgekehrt haben die Psychologen oft auf Metaphern aus der Informatik zurückgegriffen, um ihre eigene Auffassung von der Organisation des Wissens im Gedächtnis zu validieren oder schlicht zu beschreiben. So hat z.B. die Unterscheidung zwischen prozeduralem und deklarativem Wissen Anderson zu seinem ACT-Modell* (Anderson, 1983) über den Erwerb und die Kompilation von Wissen inspiriert. Es hat im übrigen zur Schaffung von pädagogischen Anwendungen geführt, die auf ihrem Gebiet noch heute als beispielhaft gelten (Geometry Tutor et Lisp Tutor: Anderson & Reiser, 1985).

Ein anderes Beispiel für die Konvergenz zwischen einem theoretischen Kognitionsmodell und pädagogischen Anwendungen der Informatik war das Abenteuer von LOGO (Papert, 1980). Diese Umgebung, die auf einer von LISP inspirierten Programmiersprache basiert, ist absichtlich als eine "Informatikmetapher" der Bildungsprozesse von Schemen in der Theorie von Piaget (1978) angelegt. Darum wurde ihr der Vorzug zuerkannt, durch ihre einfachen konstruktivistischen Eigenschaften die Entwicklung und hiermit auch die Prozesse des Wissenserwerbs zu stimulieren. Leider haben zahlreiche experimentelle Forschungen gezeigt, dass diese wesentlichen Vorzüge nicht ausreichten, um die idealistischen Hypothesen von Papert (Pea et Kurland, 1984; Mendelsohn, 1988; De Corte, 1992) zu rechtfertigen. Wird LOGO in der Pflichtschule eingesetzt, so verhält er sich wie jeder andere traditionelle Inhalt, da sein Potential weitgehend von den Übertragungsweisen und Projekten abhängt, die mit dem didaktischen Kontext seiner Verwendung verknüpft sind. Trotz der Enttäuschungen und Missverständnisse, zu der sie Anlass gab, scheint diese Forschungsrichtung noch nicht verschwunden zu sein. Die Konvergenz zwischen den Forschungen über das Begriffsvermögen und die Navigation durch die Hypertexte und die Organisation der Begriffe in semantischen Netzwerken liefert noch Gründe zur Annahme, dass ein gewisser Zusammenhang zwischen den Forschungen über die ErwerbsProzesse in der fundamentalen Psychologie und der Informatik besteht. Die Forscher, die sich zu dieser Richtung bekennen, sind im allgemeinen unter dem Banner der kognitiven Wissenschaften versammelt.

Anderson, J.R. (1983) - The architecture of Cognition.

Anderson, J.R. and Reiser, B.J. (1985) - The Lisp tutor, Byte, vol. 10., nû 4, S. 159-175.

De Corte, E. (1992) - On the learning and teaching of problem-solving skills in mathematics and LOGO programming. Applied Psychology: an International Review, 41(4), S. 317-331.

Mendelsohn, P. (1988) - Les activités de programmation chez l'enfant: le point de vue de la psychologie cognitive. Technique et Science Informatiques, 7(1), S. 27-38.

Pea, R. & Kurland, D. (1984) - On the cognitive effects of learning computer programming. New Ideas in Psychology, 2(2), S. 137-168.

Der funktionalistische Ansatz

Der durch die Theorien über die Informationsverarbeitung inspirierte "funktionalistische" Ansatz privilegiert die Untersuchung der Formen der Informationskontrolle im Funktionieren der Kognition. Im Unterschied zu den vorhergehenden Forschungen interessieren sich diese Arbeiten prioritär für die ökonomie des kognitiven Funktionierens und den funktionalen Zwängen dieses Systems. Klassisch gehören zu diesem Ansatz die Forschungen über das Arbeitsgedächtnis, das implizite Lernen oder den automatischen oder impliziten Charakter gewisser mentaler Prozesse. Diese Modelle über die Funktionsweise der Kognition sind effizient, um zu verstehen, wie das menschliche System der Informationsverarbeitung sich selbst organisiert oder sich an die Grenzen seiner eigenen Fähigkeiten anpasst. Sie ermöglichen es, das Verhalten des Subjekts in einer Lernsituation durch Aktion oder Problemlösung zu beschreiben (Richard, 1990). Das epistemische Subjekt von Piaget wird hier ein Subjekt, das Funktionszwängen unterworfen ist, die seine Leistungen zu einem grossen Teil bestimmen.

Insbesondere dank den Begriffen der mentalen Belastung und der Aufmerksamkeit liefern diese Modelle seit langem eine solide theoretische Grundlage für die Forschung über die Ergonomie der Softwareprogramme (Waern, 1986). Leider wurde dieser Ansatz nicht konsequent auf die Unterrichtsprogramme angewandt, und zu viele im Handel verbreitete Programme enthalten schwere Abweichungen von diesen Prinzipien. Die besagten Begriffe bilden auch eine begriffliche Basis für die Untersuchung der "Mensch-Maschine"-Interaktionen (Dix, Finlay, Abowd & Beale, 1993; Staggers & Norcio, 1993). Gewisse Forscher treiben die diesem Ansatz zugrundeliegende Logik weiter voran und betrachten die informatischen Umgebungen als wahrhafte "Prothesen", welche die strukturellen Schwächen unserer Kognition auf zahlreichen Gebieten unseres intellektuellen Lebens ausgleichen können (Kommers, Jonassen et Mayes, 1990). Letztere Forschungsrichtung hat wichtige Implikationen für die Entwicklung von Unterrichtsprogrammen, insofern sie dazu führt, das Informatikdispositiv als Hilfe und Unterstützung beim Wissenserwerb und nicht als einen zu beherrschenden Inhalt anzusehen.

Dix, A., Finlay, J., Abowd, G. and Beale R. (1993) - Human-Computer Interaction. New York: Prentice Hall.

Kommers, P.A.M., Jonassen, D.H. & Mayes, J. T. (1990) - Cognitive tools for learning. Berlin: Springer-Verlag.

Richard, J.F., (1990) - Les activités mentales: comprendre, raisonner, trouver des solutions. Paris: Armand Colin.

Staggers, N. and Norcio, A.F. (1993) - Mental models: concepts for human-computer interaction research. International Journal of Man-Machine Studies, vol. 38, S. 587-605.

Waern, Y. (1986) - Cognitive Aspects of Computer Supported Tasks. Chichester: John Wiley & Sons.

Die differentielle Psychologie

Im Unterschied zu den beiden ersten Ansätzen kann die "differentielle" Psychologie als ein problemorientierter Ansatz betrachtet werden. Der Differentialpsychologe schneidet aus der Welt der erworbenen Kenntnisse "elementare Wissensteile" aus, die er einer grossen Zahl Subjekte in Form von Tests vorlegt. Mit Hilfe leistungsstarker statistischer Instrumente (Analyse der Korrespondenzen, Faktorenanalyse) versucht er danach herauszuarbeiten, wie sich die Leistungen einer Gruppe von Subjekten untereinander in korrelationalen Mustern organisieren (so stellt er beispielsweise die Gruppierung verbaler, numerischer oder räumlicher Items fest). Obwohl die Testpsychologie manchmal an einem negativen Image leidet, so hat sie doch der Psychologie entscheidende Fortschritte ermöglicht. So sind es z.B. die Differentialisten, die als erste eine Unterteilung der mentalen Tätigkeiten in elementare Denkaktionen vorgeschlagen haben, ein Vorgehen, das mit den technischeren Fragen, welche durch die Schaffung einer informatischen Befehlssprache aufgeworfen werden, Ähnlichkeiten aufweist. In einem analogen Prozess müssen der Informatiker oder der Entwickler einer Mikrowelt auch die Welt der kleinsten Gesamtheit von Befehlen konzipieren, die es ermöglicht, die Komplexität des fortgeschrittensten Wissens zu rekonstruieren.

Aber der wichtigste Sektor für die Anwendung der Testmethode bleibt gewiss die Bewertung der Lernsoftware und -dispositive ( Barker & King, 1993; Becker, 1992), welche ihre Methodologie der Testpsychologie entlehnt. Die jüngste Forschung zeigt, dass es nötig ist, sowohl präzise Methoden (Datenanalyse) anzuwenden, wie auch einen Minimalkonsens über die Bewertungskriterien der Software zu erreichen, damit man diese Arbeiten vergleichen kann (Heller, 1991; Reiser & Kegelmann, 1994). Der differentielle Ansatz hat auch zur Entwicklung der Forschung über die kognitiven Stile beigetragen; diese Modelle werden oft in den Bildungswissenschaften genutzt (Pocius, 1991), um die verschiedenen Haltungen gegenüber dem Computer zu erklären.

Barker, P. and King, T. (1993) - Evaluating Interactive Multimedia Courseware: A Methodology. Computers & Education, vol. 21, Nû 4, S. 307-319.

Becker, H.J. (1992) - Computer-based Integrated Learning Systems in the elementary and middle grades: A critical review and synthesis of evaluation reports, Journal of Educational Computing Research, vol. 8, Nû 1, S. 1-41.

Heller, R.S., (1991) - Evaluating software: A review of the options, Computers in Education, Vol. 17, Nû 4, S. 285-291.

Pocius, K.E. (1991) - Personality Factors in Human Computer Interaction: A review of the litterature. Computers in Human Behavior, vol 7, S.103-135.

Reiser, R.A. and Kegelmann, H.W. (1994) - Evaluating Instructional Software: A review and critique of current methods. ETR&D, vol. 42. Nû 3, S. 63-69.

Der sozio-kognitive Ansatz

Der "kulturalistische" Ansatz in der kognitiven Psychologie privilegiert die Rolle der durch die Gesellschaft tradierten Instrumente, insbesondere die Sprache und die damit verknüpften KommunikationsProzesse. Zahlreiche Psychologen vertreten die Idee, dass man die Prozesse des Wissenserwerbs nicht verstehen kann, ohne dass man die Bedeutung der Symbole und deren sozialen Wert als Kommunikationsmittel einbezieht (Vygotsky, 1978; Bruner, 1986). Dieser Ansatz scheint jetzt eine neue Vitalität zu gewinnen, insbesondere aufgrund der Arbeiten der "Kontextualisten", die sich für das Funktionieren der Kognition in den Situationen des täglichen Lebens interessieren. So zeigt z.B. eine jüngere Studie, dass 94 % der zehnjährigen Kinder in Kalifornien Videospiele benutzen, und dass diese Praxis die Sozialisierung gewisser kognitiver Fertigkeiten ermöglicht (Greenfield, 1993). Diese Forschungsrichtung ist an erster Stelle von der psychosoziologischen Untersuchung der Integration der NIT in die Bildung betroffen.

Bruner, J. (1986) - Actual minds, possible worlds. Cambridge: Harvard University Press.

Greenfield, P. (1993) - Representational Competence in shared Symbol Systems: Electronic Media from Radio to Videogames, In R.R. Cocking & K.A. Renninger (Eds.), The development and Meaning of Psychological Distance. Hillsdale, New Jersey: Lawrence Erlbaum Publishers.

Vygotsky, L.S. (1978) - Mid in Society. The development of higher psychological processes. In M. Cole, V. John-Steiner, S. Scribner and E. Souberman (Eds). Cambridge: Harvard University Press.

Der strukturalistische Ansatz
Der funktionalistische Ansatz
Die differentielle Psychologie
Der sozio-kognitive Ansatz

Nationales Forschung Programm 33 - 29 JAN 1996

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